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Die Digitalisierung der Fotosammlung des DÖW

Blog des DÖW-Fotoarchivs, Dezember 2023


Michael Achenbach

Die Fotosammlung des DÖW umfasst über 55.000 Bilder. Ein großer Teil davon sind Bilder, die aus privater Hand dem DÖW übergeben wurden oder aus dem Besitz des Bundesverbandes österreichischer Widerstandskämpfer und Opfer des Faschismus stammen. Auch Pressefotos, vor allem Aufnahmen der Propagandakompanien der Wehrmacht, sind in größerer Anzahl vorhanden. Neben Einzelfotos gehören auch Fotoalben zum Bestand der Fotosammlung. Die Abbildungen sind Aufnahmen von Widerstandskämpfer*innen, Verfolgten und Geflohenen, aber auch Täter*innen, zeigen Ereignisse aus den 1930er Jahren, der NS-Zeit und aus der Nachkriegszeit.

Seit Sommer 2023 nimmt das DÖW mit der Digitalisierung seines Fotobestandes am Projekt „Kulturerbe digital“ teil, einem Förderprogramm der EU und des BMKOeS. Vorrangiges Ziel des Projektes ist es, das Kulturerbe österreichischer Institutionen zu bewahren und in das digitale Zeitalter zu transformieren. Dabei übernehmen die teilnehmenden Institutionen die Digitalisierung ihrer Sammlungen (bzw. von Teilen davon) und in weiterer Folge auch deren Präsentation im Internet. Zusätzlich gehen die Digitalisate der beteiligten Institutionen auch an „Kulturerbe digital“ und sollen über eine gemeinsame Plattform der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Der Aufbau dieser Plattform ist Teil des österreichischen Beitrags im Rahmen des Aufbau- und Resilienzfonds der Europäischen Union.

Mitte August 2023 konnte von der Fotosammlung des DÖW die neue multifunktionale Scanstation „SensiShot82“ in Betrieb genommen werden. Damit geht die Teilnahme des DÖW am Projekt „Kulturerbe digital“ in die produktive Phase.

Die neue Scanstation. Foto: DÖW

Mit dem neuen kamerabasierten Archivscanner sollen die Fotobestände des DÖW sukzessive bestmöglich digitalisiert und anschließend einer inhaltlichen Neubewertung unterzogen werden. Die so gewonnenen Daten werden in weiterer Folge in eine neue Datenbanklösung eingespeist, die den Anforderungen an ein modernes Fotoarchiv gerecht wird. Schwerpunktmäßig soll auf diese Weise in den nächsten Jahren die Fotosammlung des DÖW digital erfasst werden. Neben dem Fotomaterial (Papierfotos, Dias, Glasplatten, Negative) können mit dem neuen Archivscanner aber ebenso Bücher, Akten, Plakate oder auch dreidimensionale Objekte aus der musealen Sammlung des Archivs digitalisiert werden.

Eines der Projektziele wird es sein, die Fotosammlung in den folgenden Jahren mit einem niederschwelligen Online-Zugang für Wissenschaft und Interessierte verfügbar zu machen. Für die zukünftige Nutzung der DÖW-Fotos bedeutet das, dass die wertvollen Originalfotos in absehbarer Zeit für Sichtungen nicht mehr benötigt werden, was insbesondere bei den häufig genutzten Bildmotiven mit einer Verbesserung der Langzeitsicherung des Archivgutes einhergeht.

 

Gleichzeitig mit der nun beginnenden Digitalisierung der Fotosammlung des DÖW werden die einzelnen Fotokonvolute einer Neubewertung unterzogen. An dieser Stelle wird das DÖW in Zukunft über neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Fotos der Sammlung berichten, wird auf Besonderheiten hinweisen oder auch bisher eher unbekannt gebliebene Fotokonvolute vorstellen.

Am Anfang sollen einige Fotos präsentiert werden, die recht früh in den Besitz des DÖW gelangten. Passend zum derzeitigen 60-Jahr-Jubiläum des DÖW steht am Beginn ein Jugendbildnis von Herbert Steiner (1923 – 2001)[1], der treibenden Kraft hinter der Gründung des DÖW im Jahre 1963 und dessen erster wissenschaftlicher Leiter. Das Foto wurde bereits mehrfach publiziert. Es zeigt Herbert Steiner im Haus der Organisation Young Austria in London.

Herbert Steiner. Foto: DÖW (00036-009)Steiner war das einzige Kind einer assimilierten jüdischen Arbeiterfamilie in Wien.[2] Bereits als Schüler schloss sich Steiner dem Kommunistischen Jugendverband (KJV) an und trat schon zur Zeit des Austrofaschismus mit Flugblattaktionen für die Wiederherstellung der Demokratie ein. Die nationalsozialistische Machtübernahme brachte die größte Zäsur in seinem Leben. Sowohl die Bilder von den Ausschreitungen gegen die Jüdinnen und Juden im März 1938, als auch das Novemberpogrom prägten sich ihm tief ein und machten ihm die unmittelbare Bedrohung des eigenen Lebens durch den Nationalsozialismus bewusst. Noch im November 1938 warnte ihn ein ehemaliger Mitschüler – der selber bei der HJ aktiv war – vor seiner bevorstehenden Verhaftung. In der gleichen Nacht flüchtete Herbert Steiner aus Wien. Er passierte die deutsch-niederländisch Grenze und gelangte von dort nach Großbritannien, wo er im Jugendlager Dovercourtbay Camp aufgenommen wurde. Einige Monate nach seiner Emigration begann er eine Lehre als Schriftsetzer und Korrektor in einer Londoner Druckerei. Außerdem trat er der Exiljugendorganisation Young Austria bei, die zum gesellschaftlichen und politischen Zentrum der jungen Exilant*innen wurde. Auf der ersten „Landeskonferenz“ von Young Austria im Februar 1940 wurde der damals 17-Jährige zum Sekretär der Organisation gewählt und blieb in dieser Funktion bis Kriegsende.

Das Foto zeigt Herbert Steiner in den Räumlichkeiten von Young Austria an der Adresse 129 Westbourne Terrace in Paddington. Bisher wurde es meist ohne Datierung verwendet, auf die der Hintergrund des Bildes jedoch einen Hinweis zu geben vermag.

By Land, Sea and Air. Foto: Imperial War Museum London © IWM Art.IWM PST 16042Hinter Steiner an der Wand erkennt man bei genauerem Hinsehen ein britisches Propagandaplakat mit dem Titel „By Land, Sea and Air. THE ALLIES ARE HITTING BACK“. Ein Exemplar des Plakates befindet sich im Bestand des Imperial War Museum London unter der Signatur IWM PST 16042 und zeigt vor dem Hintergrund einiger schwarz-weißer Kriegsaufnahmen eine V-förmig (wie „Victory“) aufgereihte Reihe an Soldaten in mehr oder weniger landestypischer Uniform und mit zugehöriger Landesflagge. Leider gibt das Imperial War Museum keine genauere Datierung des Plakates an. Als Anlass für die Gestaltung des Plakates darf aber die während der „Arcadia-Konferenz“ veröffentlichte „Deklaration der Vereinten Nationen“ vom 1. Jänner 1942 angenommen werden, mit der die sogenannte „Anti-Hitler-Koalition“ erstmals eine gemeinsame Erklärung abgab. Ein offizielles Foto vom 1. Jänner 1942, das die Vertreter der Unterzeichnerländer zeigt, besitzt zwei interessante Parallelen zum Plakat.[3] Die Vertreter hatten sich für das Foto ebenfalls in V-Form aufgestellt (wenn auch gespiegelt zum Plakat) und rahmten damit einen Tisch ein, an dem unter anderem der US-amerikanische Präsident Roosevelt saß. Im Hintergrund sind, ähnlich wie auf dem Plakat, die Flaggen der Unterzeichnerländer aufgereiht. Die Vermutung ist daher nicht abwegig, dass das Plakat „By Land, Sea and Air“ aus der ersten Hälfte des Jahres 1942 stammt.

Free Austria Movement Sticker. Foto: Young Austria, Periodical of the Austrian Youth in Great Britain, IV. Jahrgang, Nr. 18, September 1942, S. 2.Dazu passt, dass Herbert Steiner auf dem Foto am linken Revers einen Anstecker mit dem Logo des Free Austrian Movement (FAM) trägt. Das FAM wurde im Dezember 1941 als Arbeitsgemeinschaft von elf österreichischen Exilorganisationen gegründet. Unter anderen gehörte auch Young Austria zu dieser Dachorganisation.[4] Die Ausgabe der Anstecker wurde in der Zeitschrift Young Austria für den Herbst 1942 angekündigt.[5] Aufgrund dieser Informationen lässt sich vermuten, dass Herbert Steiner zur Zeit der Aufnahme etwa 20 Jahre alt gewesen sein dürfte.

Ein Passus in der Deklaration der FAM nahm direkten Bezug auf die Teilnahme der österreichischen Exilanten an Großbritanniens Abwehrkampf gegen NS-Deutschland.[6] Eine Forderung, die auch von Young Austria unterstützt wurde. Die Bemühungen äußerten sich anfangs beispielsweise in der Aufforderung an die Mitglieder, für die britische Rüstungsproduktion tätig zu werden. Auch Geldsammlungen zur Unterstützung der britischen Kriegswirtschaft wurden organisiert.

Editha Franckenstein, Winston Churchill. Foto: DÖW (00035-002)In diesen Zusammenhang gehören zwei weitere frühe Fotos aus der Sammlung des DÖW[7], die die Übergabe einer „österreichischen Kantine“ (Feldküche) an den britischen Premierminister Churchill am 18. Februar 1942 zeigen. In diesem Fall handelte es sich allerdings um konservative österreichische Exilant*innen aus dem legitimistischen Umfeld, wie auch die Teilnahme von Robert Habsburg verdeutlicht, die mit dieser Spende an die britische Öffentlichkeit traten. Die Fotos zeigen den ehemaligen österreichischen Gesandten Georg Franckenstein und dessen Frau Editha bei der Übergabe der Feldküche an Churchill vor seinem Amtssitz in der Downing Street.

Georg Franckenstein, Winston Churchill. Foto: DÖW (00035-006)Georg (Albert von und zu) Franckenstein studierte in Wien und schlug die diplomatische Laufbahn im Dienste Österreich-Ungarns ein. Während seiner Laufbahn war er in Washington, St. Petersburg, Rom, Tokio, Neu-Delhi und Brüssel tätig. Ab Herbst 1920 war er Gesandter der Republik Österreich (bis 1934) bzw. der austrofaschistischen Regierung (bis 1938) in London. Mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 erlosch seine diplomatische Funktion. Franckenstein kehrte aber nicht nach Österreich zurück, sondern blieb in Großbritannien, erhielt im Sommer 1938 in einer demonstrativen Geste die britische Staatsbürgerschaft verliehen, rückte in den englischen Adel auf und nannte sich fortan Sir George Franckenstein.[8]

Gemälde von Georg Franckenstein. Quelle: DÖW KunstsammlungMit seinen zahlreichen Kontakten stellte Franckenstein sich in den Dienst der konservativ-legitimistischen österreichischen Exilbewegung.

Im Besitz des DÖW befindet sich auch ein von Joseph Otto Flatter[9] in London angefertigtes Gemälde von Georg Franckenstein. Auf dem 1936 angefertigten Gemälde ist zu erkennen, dass der damalige Gesandte Franckenstein unter anderem den Österreichischen Verdienstorden in der von 1934 bis 1938 verwendeten Version mit Krukenkreuz trug, und zwar sowohl als Ehrenzeichen am Bande als auch als Bruststern.

Das Gemälde war zuletzt in der Ausstellung Wider die Macht. Die Kunstsammlung des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes von Februar 2022 bis Jänner 2023 im Haus der Geschichte in St. Pölten zu sehen.



[1] DÖW Foto 00036-009

[2] Brigitte Bailer/Winfried R. Garscha/Wolfgang Neugebauer, Herbert Steiner und die Gründung des DÖW, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hrsg.), Opferschicksale. Widerstand und Verfolgung im Nationalsozialismus, Wien 2013 [= Jahrbuch 2013].

[3] Von Unbekannter Fotograf, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=41241461 [18.12.2023].

[4] Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hrsg.), Österreicher im Exil. Großbritannien 1938 – 1945, Wien 1992, S. 170.

[5] Young Austria, Periodical of the Austrian Youth in Great Britain, IV. Jahrgang, Nr. 18, September 1942, S. 2.

[6] „Deklaration österreichischer Vereinigungen in Großbritannien“, in: DÖW (Hrsg.), Österreicher im Exil. Großbritannien 1938 – 1945, S. 283 (DÖW 02991).

[7] DÖW Foto 00035-002 und 00035-006.

[8] Paul Mychalewicz, Ein Sir für Österreich, Wiener Zeitung vom 12. 3. 2022, https://www.wienerzeitung.at/h/ein-sir-fur-osterreich [18.12.2023].

[9] Joseph Otto Flatter wurde am 26. Mai 1894 in Wien geboren. Er studierte an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Während des Ersten Weltkrieges war er Offizier an der Italienfront. Danach war er an der Masaryk-Volkshochschule in der Tschechoslowakei tätig. Anlässlich einer England-Reise 1934 beschloss er, sich in London niederzulassen. Flatter war demnach kein politischer Flüchtling, wurde aber trotzdem 1940 als „feindlicher Ausländer“ auf der Isle of Man interniert.

 



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