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Richtigstellung

In Ausgabe Nr. 12/1 der Zeitschrift Tagebuch. Zeitschrift für Auseinandersetzung habe ich 2023/2024 ein Interview zum 60-jährigen Jubiläum des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes gegeben, das sich auch dem Thema unseres Jubiläums-Symposiums gewidmet hat. In Ausgabe N. 12/2 des Tagebuch erschien auf S. 10/11 eine „Erwiderung“ von Erich Hackl, die einige Falschbehauptungen beinhaltet, die zu berichtigen sind. Da mich die Tagebuch-Redaktion nicht vorab informiert hat und abgelehnt hat, Hackls Text online unverzüglich eine Erwiderung hinzuzufügen und die unrühmliche Angelegenheit damit zu beenden, bin ich gezwungen, eine Richtigstellung auf unserer Website zu veröffentlichen.

 

Als Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes ist man in Österreich ja einiges gewöhnt. Schon bevor ich mein Amt im April 2023 angetreten habe, war mir klar, dass ich bald einer Institution vorstehen würde, die nicht von allen geliebt wird. Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes scheut sich nicht davor, unbequeme Themen aufzugreifen und anzusprechen – und das seit stolzen 60 Jahren. Wir sind Kritik gewöhnt, haben eine Lawine an Klagen von Haider und Konsorten erlebt. Heute erreichen uns Unterstellungen, Angriffe und Diffamierungen meistens von rechts, manchmal als Posting, manchmal als Brief, manchmal sind sie an unsere exponiertesten Expert*innen gerichtet, manchmal an mich als Leiter. Seit einigen Monaten kommen die Angriffe verstärkt von der FPÖ, die sich mit dem Rückenwind günstiger Umfragewerte kein Blatt mehr vor den Mund nimmt. Das DÖW wurde Gegenstand wilder Attacken bei Pressekonferenzen, parlamentarischer Anfragen und in den Reden von Nationalratsabgeordneten. Diese Kritik hat wenig Substanz, kommt dafür aber umso salopper und personalisierter daher. Meist tut das DÖW gut daran, diese lächerlichen Diffamierungen zu ignorieren.

Manchmal wundere ich mich aber doch, wenn eine emotional aufgeladene und sehr persönliche Kritik von einer Seite kommt, von der ich sie nicht unbedingt erwartet hätte, und aus Federn, die dafür nicht unbedingt bekannt sind. Erich Hackl ist so ein Fall. In seiner „Erwiderung“ auf ein Interview mit mir zum 60-Jahre-Symposium in der Zeitschrift Tagebuch bezeichnet er meine Arbeitsweise en gros als „Verfahren der unlauteren Verallgemeinerung“, meint, ich würde mit meinen „absurd“ anmutenden Appellen in einer „fiktiven Parallelgesellschaft“ leben, und hält mich offenbar für einen Vertreter einer von ihm ausgemachten Gruppe von „vorgeblich kritischen Intellektuellen“, die aus „Vereinzelung, Lethargie und Eigensucht“ Ausdruck des sozialen Niedergangs des DÖW als Institution sei, die sich im „Angriff auf jede Initiative, die auf das Selbstverständnis der österreichischen Gesellschaft Einfluss nehmen will“ übe.


Das ist überraschend beleidigend. Dass so etwas ohne Möglichkeit zur Stellungnahme erscheint, ist eine grobe Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht und alles andere als ein Qualitätssiegel einer Zeitschrift. An Hackls Text ist für mich inhaltlich dreierlei bemerkenswert. Erstens scheint mir ein offensichtliches Missverständnis vorzuliegen, besser gesagt ein absichtliches Missverstehen. Hackl, der immer wieder aus dem Interview und einer ihm ebenfalls nicht behagenden Rede zur Befreiungsfeier in Gusen 2023 zitiert, zitiert ausgerechnet an einer Stelle nicht, nämlich am zentralen Punkt seiner Kritik: Ich würde alles als Widerstand bezeichnen, insbesondere würde ich meinen, dass „die wegen krimineller Delikte in ein Konzentrationslager eingewiesenen Häftlinge en gros – also nicht nur in Einzelfällen – ‚den zahllosen Formen und Farben‘ des Widerstands zuzurechnen seien“. Hackl zitiert das nicht, weil er das gar nicht kann. Schließlich habe ich das nie gesagt und auch nicht vertreten. Nicht ich, sondern Hackl vermischt Opferschaft mit Widerstand. Ja, es geht mir in meiner jüngsten Forschung um die Gruppe von Menschen, die in der NS-Zeit als „Berufsverbrecher“ ohne Gerichtsurteil und ohne ein Delikt begangen zu haben in kriminalpolizeiliche Vorbeugungshaft genommen und in Konzentrationslager deportiert wurden, wo sie in großer Zahl starben oder ermordet wurden (in Mauthausen über 37 Prozent der Deportierten). Über sie wird viel behauptet und wenig gewusst. „Berufsverbrecher“ wurden nämlich nicht „wegen krimineller Delikte in ein Konzentrationslager eingewiesen“, wie auch Hackl schreibt. Die Aburteilung strafrechtlich relevanter Delikte oblag den Gerichten, die Vermischung von KZ und Strafvollzug war vielmehr ein zentraler Mythos des Revisionismus, mit dem die KZ-Haft als legitimer Strafvollzug dargestellt werden sollte. Die Vorbeugungshaft ist NS-Unrecht, wie die gesamte Einrichtung der Konzentrationslager – niemand war zu Recht im KZ. Es bleibt, auch in Österreich, anzuerkennen, dass von Nazis als „Berufsverbrecher“ Bezeichnete NS-Opfer waren. Dass sie deshalb aber samt und sonders, en gros im Widerstand gewesen seien, ist falsch und habe ich nirgendwo behauptet. Hackl konstruiert wissentlich oder unwissentlich einen falschen Feind.


Das hätte Hackl auffallen können, das hätte der Tagebuch-Redaktion auffallen müssen – dazu hätte es nicht einmal einen komplizierten Faktencheck gebraucht, ein Blick in ihre eigene Ausgabe hätte gereicht. Vermutlich geht es Hackl in seiner Erwiderung aber gar nicht um die Fälle von Widerstand von „Berufsverbrechern“ und „Asozialen“ oder um das komplexe Phänomen der brutalen Kapos, derer es viele Beispiele aller Winkelfarben gibt, oder um die Diskussion darum, ob der Widerstandsbegriff enger oder weiter gefasst werden sollte. Denn das sind berechtigte, oft produktive, immer schon kontrovers geführte Diskussionen, die auch in unserem Symposium zum 60. Jubiläum des DÖW breiten Raum hatten. Das Thema ist für Hackl nur Vehikel für eine kryptische Fundamentalkritik. Er habe das diffuse Gefühl, dass die Rede von den „Berufsverbrechern“ wohl nur ein Platzhalter für die SS sei, die als nächstes „rehabilitiert“ würde. Diese an das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands und ihren Leiter adressierte Unterstellung ist infam. Der Subtext ist klar: Der Dammbruch stehe mit meiner Bestellung vor der Tür, der Revisionismus stehe unweigerlich bevor. Ergo ist dem Revisionismus rechtzeitig und bestimmt antifaschistisch Einhalt zu bieten – indem man die ganze antifaschistische Institution DÖW im Namen des Antifaschismus öffentlich und ohne Substanz angreift.


Der zweite bemerkenswerte Punkt besteht im Untertitel: „Was passiert, wenn die Zeugen der Erinnerung ausgestorben sind.“ Dieser Untertitel ist nicht als Frage formuliert – vor dieser alles andere als banalen Frage stehen wir schließlich alle –, sondern als Feststellung. Das passiert also, wenn die Zeitzeugen – und Zeitzeuginnen – nicht mehr sind. Wenn Maršálek stirbt, tritt Kranebitter auf, vermeintlich ohne jeden Bezug zur Generation der Überlebenden. Dieser Teil des Vorwurfs verwundert mich besonders – ich habe Erich Hackl schließlich nur einmal getroffen, und das war, als ich ihn vor etwa zehn Jahren gemeinsam mit Überlebenden des KZ Mauthausen zur Präsentation eines Gedenkbuchs in die Gedenkstätte eingeladen habe. Dieses Buch war den in Mauthausen Verstorbenen und Ermordeten gewidmet, an die vom 18-jährigen Gedenkdiener bis zu den damals in ihren 90ern gewesenen Überlebenden des Lagers hunderte Menschen in persönlichen Texten erinnerten – mit zahlreichen Zeitzeug*innen hatte ich Kontakt, habe mit ihnen geredet, publiziert, gefeiert. Wäre Hackl wirklich an dem Erbe der Zeitzeug*innen interessiert, hätte er auch wissen können, dass ich mit dem von ihm als Instanz angerufenen Hans Maršálek sehr oft zusammengesessen bin. Eine kurze Recherche hätte gereicht, um von den mehrstündigen Interviews zu lesen, die ich mit Maršálek geführt habe. Und Hackl hätte wissen müssen, dass Maršálek, wie viele andere Überlebende, die im Lager „Funktionen“ bekleidet haben, eine sehr differenzierte Sicht auf die Dinge hatte. Er hatte eine eigene politische Moral und scheute vor einfachen Verallgemeinerungen zurück. Er wies darauf hin, dass viele Erzählungen über die Lager irrig waren – aufgeregt hat ihn, den alten Kommunisten, zum Beispiel, dass die DDR versucht hat, die letzten Tage des KZ Mauthausen als Selbstbefreiung darzustellen. Da machte er nicht mit. Dichtung interessierte ihn nicht, sein Metier war die Dokumentation. Und auch die Debatte zu den „Kriminellen“ sei nicht so einfach, sagte er: „Und nicht glauben, dass die ‚Kriminellen‘ alle ‚kriminell‘ veranlagt waren. […] In Mauthausen kann ich das nicht sagen. Da war so mancher ‚Politischer‘ ärger wie ein ‚Krimineller‘.“ Maršálek, Viktor Matejka, Hermann Langbein und andere, die im Überlebenskampf der Lager standen, unter der Korruption und Gefährlichkeit zahlreicher Kapos litten, die den Widerstand dort organisierten und seine vielen Dilemmata kannten – sie schafften es, differenziert zu sehen, was Gralshüter des reinen Widerstandes nicht akzeptieren können.


Das dritte, was mir bemerkenswert erscheint, ist das doch recht verworrene Ende der Erwiderung, das vom Ende des DÖW handelt. Was ist denn Hackls Rat? Sollen wir die Zeit zum Stillstand bringen oder zurückdrehen, um Diskussionen zwischen Zeitzeug*innen und jungen Historiker*innen zu ermöglichen? Sollen wir Trübsal blasend den guten alten Zeiten nachweinen? Sollen wir die Hände in den Schoß legen und chronisch unterdotiert verhungern oder vielleicht doch die mit dem Umzug auf das als Peripherie abgetane Otto-Wagner-Areal verbundene Reorganisierung versuchen? Sollten wir weiterhin auf zu engem Raume in der Innenstadt bleiben, damit uns unsere Kritiker auch dort weiterhin nicht besuchen kommen? An wen richtet sich Hackls widersprüchlicher Appell denn eigentlich? An die vermeintlich dem Untergang geweihte Institution oder an mich, den falschen Leiter? Es scheint mir das Grundproblem der Erwiderung zu sein, dass das unklar bleibt. Sie bleibt Jagd auf eine selbst konstruierte Abweichung, über deren Motivation ich nur spekulieren könnte.


Ich danke für die ungefragten Ratschläge. Und lege sie zu den Akten. Denn weder werde ich gegen eine höhere Dotierung unseres Budgets opponieren, noch dem unvermeidlichen Untergang zusehen. The proof of the pudding ist bekanntlich in the eating – die totgesagte Institution ist höchst lebendig. Solidarische Kritiker*innen waren und sind stets willkommen im DÖW. Zynische Attacken und persönliche Diffamierungen brauchen wir in Zeiten des erstarkenden Rechtsextremismus nicht.


Ich hätte meinerseits nur noch einen „absurden Appell“: Man möge seine negativen Emotionen, dem DÖW wie seinem Leiter gegenüber, in Zeiten wie diesen reflektieren. Und man könnte sich als Magazin fragen, ob das die im Untertitel angeführten Auseinandersetzungen sind, die man sucht.

 

Andreas Kranebitter

Wissenschaftlicher Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes



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